Gutenmorgengeschichte für Veronika

(statt der Gutenachtgeschichte, weil nachts um 1 Uhr Ortszeit schläft die Tante schon…)

Liebe Veronika (und Daniel natürlich auch),

die Vorgeschichte der Gutenachtgeschichte (große Spinne im ersten, großer Frosch im 2. Badezimmer) wiederhole ich hier nicht. Das war ja abends und das ist ja eine Gutenmorgengeschichte. Soweit, so logisch…

Heute morgen bin ich aufgewacht und fand den Ausblick (direkt vom Bett ausm Fenster mit einer dunkellilafarbenen Gardine) toll. Baum und Grünzeug. Mein Zimmer ist sehr schön, heute morgen hab ich erfahren, dass ich einen schickeren Raum hab als die ursprünglich gebuchte Hütte – weil ich die einzige Person im Hotel bin derzeit. Das fand ich ein bisschen blöd, aber wie ich ja schon geschrieben habe, habe ich mich eben laaaange mit der Hotelmanagerin, Srae Lea (oder Sri oder Srei und dann wie Lea) unterhalten und das war total schön. So jetzt kommt noch so ein blöder Erwachsenensatz (gemein, dabei ist es doch eine Gutenmorgengeschichte und die wünschen ja bekanntlich nur einen guten Morgen und kommen nicht mit einer Moral von der Geschichte ums Eck): Und deshalb, liebe Kinder, lohnt es sich, ganz ganz ganz gut Englisch zu lernen, weil das tut ein Großteil der Welt auch, und dann kann man sich unterhalten, und das macht sehr viel Spaß.

Jedenfalls.

Tante wacht auf – genau – und das ganze Hotelzimmer ist sehr viel weniger furchteinflößend als bei Dunkelheit. Ich hab gaaaanz vorsichtig die Badezimmertür geöffnet und hab gehofft, dass der große Frosch da ist, den ich gestern Abend so erschreckt habe, weil ich einen spitzen Schrei ausgestoßen hab, als er rechts von mir saß und dann gehüpft ist. Der Frosch würde das so erzählen:

Ich saß friedlich in meiner Lieblingshöhle, und dann ging plötzlich die Sonne auf, obwohl sie doch schon untergegangen war. Das fand ich sehr seltsam. Bevor ich in Ruhe darüber nachdenkphilosophierquaken (so nennt man das bei uns Fröschen, wenn wir gemütlich über den Wald und das Wetter nachsinnieren) konnte, machte das große quadratische Rechteck ein gruselig knarzendes Geräusch. Eigentlich mag ich das große Rechteck am liebsten, wenn es GESCHLOSSEN ist, der Raum dahinter ist mir ein bisschen unheimlich und ich glaub, da ist kein einziger Baum und auch keine vernünftige Pfütze, außerdem kommen da oft unheimliche Laute raus. Zusammen mit dem knarzenden Geräusch ging die Tür auf und dann kam ein riesenhaftes Tier herein. Pfamm Pfamm – das waren zwei Schritte und schon stand es neben mir, gab sehr sehr seltsame Geräusche von sich und inspizierte ganz klar meine Lieblingshöhle. Mein Herz blieb stehen, und das will was heißen, denn Froschherzen schlagen ganz schön schnell und wenn sie plötzlich stehen bleiben, ist das ungefähr so, als ob ein Porsche von 180 auf Null in Null Sekunden entschleunigt.

UND DANN GUCKTE MICH DAS GROSSE TIER AN. Sämtliche Froschschenkel waren mir wie gelähmt. Ich bin immer gut getarnt, obwohl ich ein sehr hübscher Frosch bin und manchmal gern mehr auffallen würde, aber mein blattbraungelbliches Outfit sucht seinesgleichen im Dschungel und es ist nunmal besser, nicht so viel aufzufallen, wenn man im Dschungel lebt. Ich bin nicht gerne das Abendessen von anderen Tieren. Deswegen werd ich auch nicht gerne DIREKT angeschaut von Tieren, die so viel größer sind als ich! Also hab ich beschlossen, dezent wegzuhüpfen. Sicher is sicher.

Der Schuss ging nach hinten los. Das große Tier mit den langen, schwarzen Beinen, an denen erkennbar Grassamen hingen, das heißt es war schon draußen auf der Jagd trotz Dunkelheit und irgendwie machte es auch einen ziemlich hungrigen Eindruck — also das große Tier stieß direkt nach meinem Hoppser einen kurzen, furchteinflößenden Schrei aus.

Da hab ich aufgegeben. Lieblingshöhle hin oder her, es gibt ne Grenze und die war hier klar überschritten. Unverschämtes Riesenviech. Ich bin nochmal gehüpft und habe mich hinter der großen freundlichen Metallstange versteckt. Da gibt es einen verkleideten Fluss, rund und aus einem komischen, blauen Material, manchmal rauscht da Wasser durch. Ich bin Experte für Wasser und ich würde gern mal durch das Rohr rutschen, aber ich hab den Eingang noch nicht gefunden und – sehen wir den Tatsachen ins Auge – ich bin dafür zu fett. Aber in der Wand meiner Lieblingshöhle sind verlässlich Lücken, speziell um den verkleideten Fluss herum, und da konnte das blöde Tier mir nicht folgen. Das große Tier ist nämlich noch deutlich fetter als ich, wahrscheinlich, weil es schon unglaublich viele Frösch ein seinem Leben gefressen hat. Huuuuuu. Mir gruselt’s noch immer, wenn ich dran denke, so sehr, dass es mir die Quak-Luftblasen an der Seite aufpustet und ich quaken muss, damit ich mich abrege. Aber gestern Abend war ich lieber ganz still. Man weiß ja nie…

Den Rest der Nacht habe ich mich versteckt. In meiner Lieblingshöhle ging wiederholt das Licht an und aus, ich hab komische Laute gehört (sowas wie „haaaallo?!“), und ich bleibe lieber, wo ich bin. Vielleicht überkommt mich später heute mehr Mut, aber ansonsten warte ich, bis es nachts dunkel bleibt und keine Phamm-Phamm-Laute mehr zu hören sind. Wenigstens sitze ich sehr bequem unter der Lieblingshöhle, die steht nämlich auf Stelzen und nachts ist das Gras darunter ganz feucht und ich höre den Zikaden zu. Das hab ich auch gestern getan, bis ich mich beruhigt hatte. Danach habe ich einmal ganz leise, aber bestimmt gequakt, damit das Viech (offensichtlich schlief es) nicht aufwacht. Und dann habe ich den Vollmond bestaunt, der hinter dicken, tropischen Wolken hing. Quak, ich habe gesprochen.

So hier spricht wieder das große Tier, also ich, kein Frosch mehr 😉

Eigentlich wollte ich ne ganz andere Geschichte erzählen, aber der Frosch hat sich aufgeplustert, dabei war es doch gar nicht so schlimm… Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass er nicht mehr im Badezimmer ist.

Heute morgen habe ich Srae Lea gefragt, was man macht bei Stimmen, da sagte sie „ja, Europäer haben da immer Angst!“, was ich sehr lustig finde. Und sie sagte Schreien und Geräusche machen hilft gar nicht, aber was werfen, z.B. ein Buch, oder — Wasser.

Veronika, Deine Tante stand in Griff-Reichweite zum Duschschlauch! Asiatische Bäder hier haben die Dusche meist ohne Duschkabine im Badezimmer integriert, das heisst an einer Wand hängt einfach der Duschschlauch und der Badezimmerboden hat ne ganz leichte Schräge und einen Abfluss. Das heißt man darf im ganzen Bad Sauerei machen beim Duschen und herumspritzen, aber es ist ne gute Idee, vorher zu überlegen, wo man die Dinge hinlegt, die nicht duschen sollten, wie Handtuch, Klopapier etc. Außerdem ist es ein erhöhter Schwierigkeitsgrad, weil es immer einen offenen Mülleimer gibt, in den das Klopapier kommt (das benutzt man nur zum Trockentupfen, zum Saubermachen von Popo & Kloschlüssel benutzt man einen Wasserschlauch, der neben dem der Toilette hängt, das ist auch ne gute Idee, weil es sonst ganz schön stinken würde, wenn das dreckige Klopapier in den Mülleimer kommt, und nein es ist keine gute Idee, das Klopapier in die Kloschüssel zu schmeißen, weil das Klo sonst verstopft und nein, ich habe das noch nicht getestet). Der offene Mülleimer hat immer ne dicke Plastiktüte drin, und wenn also das Duschwasser ungewollt in den Mülleimer spritzt – hat man einen kleinen See. Frösche fänden das bestimmt toll, Tanten weniger…

Das nächste Mal schmeiße ich also den Reiseführer und spritze Wasser.

Die dicken, fetten großen Ameisen (schwarz), die gestern Nacht Patrouille durchs Bad gelaufen haben, waren heute morgen weg. Stattdessen kam durchs Glasdach von oben ganz viel Tageslicht rein, der Raum war unglaublich freundlich, und nur noch kleine Ameisen waren zu sehen. Die waren ziemlich neugierig auf meine Zehen, und nachdem ich ein paar Tanzschritte aufgeführt hab, hab ich todesmutig die nackerten Zehen stehen gelassen und festgestellt, dass die Ameisen nur gucken.

Eine sehr vorlaute hat es doch irgendwie geschafft, an mir raufzuklettern, aber sie hat nicht gebissen. Ich hab ein paar Anläufe gebraucht, um sie runterzuschnipsen. Und fand mich sehr cool. Bis ich noch so ein freches Ding auf meinem Nachthemd entdeckt hab, was ich auf den Astgabel-Haken (das Bad hat 3 Haken und die sind aus Astgabeln) gehängt hatte. Draufhin habe ich das Nachthemd ausgeschüttelt und wurde erstaunlicherweise beobachtet (will nicht wissen, von wem alles…), dass ich alle herumliegenden Klamotten brav im großen Rucksack verstaut habe. Vermutlich werden ein paar kleine Ameisen mit mir abreisen.

Trotzdem – und das war die eigentliche Gutenmorgengeschichte – ich mag die Ameisen. Sie krabbeln hier überall rum, sie sind einfach irre neugierig und vorwitzig. Beim Frühstück – ich hab pancakes bestellt und es kam ein Teller mit einem riiiiiesigen Pfannkuchen (so ein fluffig-amerikanischer) hab ich dann gesehen, dass ein winziger Krümel, der mir zwischen dem Sirup-Behälter und dem Teller auf den Tisch gefallen ist, am Wandern war. Mit ner Ameise, die dabei unglaublich stolz aussah, so als ob sie grade einen Triumphzug nach erfolgreichem Krieg im alten Rom anführt. Danach – obwohl man das bestimmt nicht macht, aber ich bin hier ja ganz allein und also darf ich mich ein bisschen daneben benehmen – habe ich einen größeren Krümel auf den Tisch geworfen und hab gewartet. Und dann hab ich Ameisen-Teamwork beobachtet und EXTRA FÜR DICH (UND FÜR DANIEL) ein Photo gemacht.

ein bisschen unscharf, aber bei Gutenmorgengeschichten dürfen die Bilder total unscharf sein, der große weiße Eisberg ist der Pfannkuchenkrümel und die zwei Ameisen erkennt man ja wohl grad noch so…

Danach hab ich ein bisschen schneller gegessen, weil ich mich gefragt hab, wann die Ameisen wohl ihre Kumpels holen und den Teller angreifen. Ein paar Kumpels waren schon unterwegs und ich hab mich gleich nochmal daneben benommen und sachte Ameisen vom Tisch geschnipst bzw. immer ein Stückchen durch die Luft – das hat die gar nicht beeindruckt. Ich glaub sie haben ein bisschen empört geguckt und – Recht haben sie.

Als ich dann fertig war, hab ich den Teller erwartungsfroh hingestellt (mit etwas Sicherheitsabstand…) und gewartet. Das ist glaub so, als ob man in der afrikanischen Trockenzeit ein Wasserloch vom Himmel zaubert – es dauert ein bisschen, dann hat es sich herumgesprochen und dann kommen alle Tiere zum Trinken. Nur, dass hier halt lauter Ameisen kommen. Dabei war es ganz ruhig und ich wüsste gern, wie die sich das gegenseitig erzählen.

dass einen Teller (der zugegeben einen viel höheren Rand hat..!) weiter noch das Wasserloch-Paradies in Form von Sirup wartet, wissen die Ameisen (noch) nicht, aber sie haben halt beim ersten Sirup angehalten, der schmeckt wohl auch besser als die Pfannkuchenkrümel – versteh ich
gottseidank mögen sie keinen Kaffee und nein, den Zucker hab ich nicht noch geöffnet, ich vermute aber Du & Daniel hättet das getan, aber – Achtung Erwachsenensatz – zuviel Zucker ist ungesund, auch für Ameisen!

Als Srae Lea sich mit mir unterhalten hat, stand der Teller noch da, und nach ner Weile waren nochmal so viele Ameisen, die alle am Sirup-Wasserloch saßen. Sah aus wie ne sehr stille und sehr glückliche Party.

Außerdem fliegen hier um die Bäume, die um die Restaurant-Terrasse (alles steht hier auf Stelzen, damit keine Tiere hochkommen – also bis auf die Tiere, die trotzdem hochkommen…) herum stehen, Schmetterlinge. Ziemlich große und, soweit ich das sehen kann, mit gelben Hinterflügeln und schwarz-weißen Vorderflügeln. Sie flattern so rum, als ob sie diejenigen wären, die zuviel Kaffee getrunken haben, also ist es müßig zu versuchen, sie zu photographieren.

Srae Lea – und damit endet der Morgen (es ist nach 12h und ich war noch nicht im Pool schwimmen, ist etwas komisch so ganz allein, aber was die Oma kann, kann ich auch, oder!) – hat mir erklärt, was ich fürs Elephantencamp brauche. Nicht mehr als das, was in einen kleinen Rucksack geht für 3 Tage. Regenjacke, hat sie optimistisch gemeint, kriege ich im Zweifel vom Camp. Das spart nämlich Platz. Egal. Nachher mach ich Probepacken. Ich glaube eine Nacht übernachten wir in einer Hängematte im Dschungel!

Sie hat auch erzählt, dass die Einheimischen (das Volk der Bunong, die leben nur in dieser Gegend von Kambodscha, also mal nachgucken im Internet, wo die Provinz Mondulkiri und die Stadt Sen Monorom sind, dann weißt Du, wo ich mich grad mit Ameisen anfreunde) wissen, was man essen kann. Vegetarian and non vegetarian, hat sie gesagt. Vegetarisch heißt, die wissen, welche Blumen man alle essen kann. Und welche Pilze. Ein bisschen wie bei uns, hast Du schon mal Blumen gegessen? Frag mal die Oma, die weiß ein paar… Und bestimmt kennst Du auch ein paar Tricks aus der Ukraine, was man alles essen kann, also musst Du mir das mal beibringen bei nächster Gelegenheit, bitte. Und die nicht-vegetarischen Sachen… Reptilien. Schlangen und ich weiß nicht, was sonst. Skorpione (Srea Lea sagt, die mag sie auch nicht, sie isst lieber die „normalen“ Sachen, also Schwein, Rind, Fisch & Huhn…), Tarantula (die großen Spinnen, ich glaub das sind Vogelspinnen auf Deutsch, oder sagt man da auch Tarantulas?) – also prinzipiell alles. Ameisen hab ich in Siem Reap aufm Markt auch schon gesehen. Die kleinen netten in rot. Die kleinen in braun-schwarz hier untersuchen gerade meinen Reiseführer.

Und jetzt bin ich weiter faul. Hab Mordsmuskelkater. Oooooh da hinten sitzt der Schmetterling still! von außen ist er nur schwarz-weiß und vorne rot!

hab ihn! ((oder sie?!))

Die nächsten Tage kannst Du mir eine Geschichte schicken oder ne Idee für eine Geschichte – als nächstes müsste ich ja theoretisch was über die Elehanten erzählen… Das kommt aber erst in ein paar Tagen, weil ich den PC nicht mitnehme ins Camp – nur Handy. Strom gibt’s da nur nachts, und dann muss ich die Batterien für die Kamera aufladen und das Handy, damit die Taschenlampe geht (ohne Taschenlampe kommt man nicht aufs Klo, das ist im Schwierigkeitsgrad noch ein Stückchen höher als hier…). Danach bin ich nochmal eine Nacht hier in der „Nature Lodge“.

Guten Morgen! (also bei mir guten Mittag)

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